Sonntag, 30. Oktober 2011

Made in Japan – Die erste Fertigstadt der Welt

Der Elektrokonzern Panasonic baut bei Tokio eine Trabantenstadt wie aus dem Science-Fiction-Film: Alles ist computergesteuert.

Stein auf Stein, lotrechte Mauern, von Hand hochgezogen – das alte Ideal schwäbischer Häuslebauer ist langsam passé. Selbst Deutschlands Bauherren freunden sich langsam mit Fertighäusern an, pardon, Systemhäuser hört die Baubranche lieber.

Da sind die Japaner schon wieder einen Schritt weiter. Das Haus aus der Fabrik ist dort schon lange Standard. Jetzt kommt die ökologische Fertigstadt, die wie ein Auto schlüsselfertig und mit allen Optionen beim Hersteller bestellt werden kann. Der Anbieter ist kein geringerer als der Elektronikgigant Panasonic.

In Fujisawa, einer Stadt südlich von Tokio, baut der Konzern ein klimafreundliches, voll vernetztes Musterstädtchen, das seinen Stromverbrauch selbst decken kann. Ab 2013 sollen dann 3000 Menschen dem Rest der Welt in der "Fujisawa Sustainable Smart Town" (der "nachhaltigen smarten Stadt") vorleben, wie urbane Zukunft im Zeitalter des Internets aussehen kann.

Auf den Entwürfen sieht sie aus wie eine typische Vorstadt. Adrette Häuser des konzerneigenen Fertighausanbieters PanaHome zieren die gezirkelten Wege. Doch auf den Dächern produzieren Solaranlagen des Konzerns Elektrizität, die je nach Bedarf verbraucht, ins Netz gespeist oder in massiven Lithium-Ionen-Akkus der Firma gespeichert werden kann.

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Neben denen stehen Brennstoffzellen, die des Nachts und bei Bewölkung aus Wasser- und Sauerstoff sauberen Strom und nebenbei aus der Prozesswärme heißes Wasser gewinnen. Selbstverständlich stammt auch das Innenleben der Öko-Häuser von Panasonic.

Intelligente, mit Licht-, Bewegungs- und anderen Sensoren vollgepackte sowie mit dem Internet vernetzte Klimaanlagen, Kühlschränke, Fernseher und LED-Lampen des Unternehmens regeln ihre Helligkeit je nach Umgebungslicht – und sollen so den Stromverbrauch senken helfen, natürlich perfekt abgestimmt und gesteuert vom Energiemanagementsystem des Konzerns.

Sogar in den Wänden soll firmeneigene Hightech zum Einsatz kommen: PanaHomes Prototypen dämmen bereits mit dünnen, extrem effizienten Vakuumplatten, die bisher Kühlschränke isolieren. Und wer will, kann sich auch den Stuhlgang mit Hightech verschönern, mit wohltemperierter Podusche vom selbstreinigenden Panasonic-Klo.

Es gibt kaum einen Wunsch, den der riesige Mischkonzern nicht erfüllen kann. Er hat sogar Elektrofahrräder im Programm. Und das besonders Smarte an der Idee ist aus der Sicht der Wirtschaft: Um die Stromeinsparpotenziale heben zu können, müssen die Staaten zuerst Milliarden investieren.
Revolution im Panasonic-Konzern

Warum Panasonic dermaßen klotzt, verrät Konzernchef Fumio Ohtsubo bei der Vorstellung des Projekts. Die Öko-Stadt ist ein globales Schlüsselprojekt, der Pfeiler einer Revolution im Panasonic-Konzern.

Bis zum 100. Geburtstag des Konzerns im Jahr 2018 will er den Elektronik- und Haushaltsgerätehersteller in den weltweit führenden Anbieter von umfassenden Energiemanagementsystemen verwandeln. Und mit Fujisawa will er das neue Geschäftsmodells ausprobieren, sagt Ohtsubo.

Bisher habe sich der Konzern auf den Verkauf von einzelnen Produkten fokussiert. "Nun wollen wir sie zu einem Systemangebot integrieren", sagt Ohtsubo. "Wenn wir Erfolg haben, wollen wir damit in Japan, Asien und der Welt expandieren."

Experten sagen einen riesigen Markt für voll vernetzte Ökostädte voraus. Bereits heute sucht die Menschheit in mehr als 200 Projekten nach Wegen, wie immer mehr Menschen, unterstützt von neuester Technik, komfortabel leben können, ohne die Umwelt vollends zu ruinieren.

Die Stichworte der kommenden Revolution des Lebensstils beginnen dabei nicht mit Verzicht, sondern mit "smart": Smart-City (smarte Stadt), Smart Grid (smartes Stromnetz) und "smarte" Produkte. Aufgerüstet mit Sensoren, sollen sie ihre Umwelt wahrnehmen, miteinander kommunizieren und Ressourcen effizienter nutzen können.

Intelligente Stromzähler, neue Stromkabel, neue Straßen, neue Software, Sensoren aller Couleur braucht das Land, ganz zu schweigen von neuen Kraftwerken und Gerätschaften aller Art. Es herrscht Goldgräberstimmung.
Vorbild Masdar in Abu Dhabi

Eines der prominentesten Smart-City-Projekte ist Masdar, eine Multi-Milliarden-Dollar-Investition in Abu Dhabi. Seit 2006 darf die Firma von Stararchitekt Norman Foster, die den Glasdom im deutschen Reichstag entworfen hat, dort ihre Vision vom ökologischen Wohnen in den Wüstensand der Vereinten arabischen Emirate setzen.

Der Anspruch ist hoch: Supernachhaltig, kohlendioxidneutral, müll- und autofrei soll das Stadtleben sein. Nach der Fertigstellung soll sie auf sechs, von Mauern umgebenen Quadratkilometern 50.000 Einwohnern und 1500 Firmen und Organisationen Platz bieten, darunter das Hauptquartier der internationalen Agentur für erneuerbare Energien (Irena).

Im Gegensatz zu Dubai schießt die Stadt allerdings nicht Hunderte von Metern in den Himmel. Die Häuser sind in arabischem Stil gehalten, mit Höfchen und Schatten. Der Wind wird eingefangen und durch die Stadt geleitet. Durch die Brise soll die Temperatur in Masdar selbst im Sommer nur auf 37 Grad steigen.

Das elf Kilometer entfernte Abu Dhabi ist hingegen mit Werten um 50 Grad dem Hitzetod nahe. Der motorisierte Individualverkehr wird von automatisierten Elektrowägelchen geleistet, die getrennt von Fußgängern auf einer Ebene der Stadt umhersurren. Und um den ökologischen Fußabdruck der Städter zusätzlich zu verkleinern, sollen 99 Prozent des Mülls recycelt werden.
Megastädte drohen im Chaos zu versinken

Besonders händeringend wird allerdings in der Boom-Region Asien nach innovativen Lösungen gesucht. Denn die dortigen Megastädte drohen unter dem Zustrom der Landbevölkerung in Müll, Staus und Abgasen zu ersticken. An vorderster Front marschiert dabei wieder einmal China, wo die Probleme besonders stark sind.

Nach einer Vorhersage von McKinsey aus dem Jahr 2009 werden bis 2015 rund 350 Millionen Bauern in die Städte wandern. Die Regierung in Beijing hat daher im März "grüne" Initiativen zu einem Schwerpunkt ihres neuen Fünfjahresplans gemacht. Der Großteil der Ressourcen wird in die neuen Kraftwerke investiert, damit die schlimmsten Dreckschleudern vom Netz genommen werden können.

Aber auch Smart-Citys haben Hochkonjunktur. Mehr als hundert Projekte soll es allein im Reich der Mitte geben, so ganz genau weiß das niemand. Doch darunter sind rund zwei Dutzend sehr ernst gemeinter Vorhaben, an denen auch viele japanische Firmen mitwirken. Doch einer der wichtigsten Ideenspender wird wieder einmal Japan werden, besonders nach der Atomkatastrophe in Fukushima.

Schon jetzt ist das Land bei wichtigen Schlüsseltechniken wie Smart-Grid (smarten Stromnetzen), Akkus und Solaranlagen führend in der Welt, urteilt ein deutscher Experte unter der Hand. "Da können andere Länder von Japan lernen." Nun wird die Kreativität der Ingenieure noch durch die Not, die Mutter aller Erfindungen, angestachelt: Die Atomkraft, bisher der Pfeiler der japanischen Energiestrategie, muss schnell ersetzt werden. Umso stärker sprießen daher Zero-Emission- und Smart-City-Projekte aus dem Boden.

Diese Woche fand in Yokohama die Smart-City-Woche statt, auf der Experten aus aller Welt das Potenzial der neuen Welt ausgelotet haben. Nicht nur Panasonic, sondern auch die anderen Elektronikkonzerne wie Hitachi, Fujitsu und Toshiba bereiten das Leben in intelligenten, umweltfreundlichen Städten vor.
Autobauer wittern neue Chancen

Doch nicht nur die Elektronikhersteller, auch Japans Autobauer wittern neue Absatzchancen und tischen eigene Ideen auf. Kein Wunder, denn durch ihre großen Erfahrungen bei Hybrid- und Elektroautos setzen sie weltweit die Maßstäbe in Akku-Technik und Energiemanagement.

Toyota, wie Panasonic in Besitz einer Fertighausfirma mit dem sinnigen Namen Toyota Home, hat sich naheliegenderweise Toyota-City als Testrevier ausgewählt. Toyotas Test dreht sich dabei um den Einsatz von Hybridautos als dezentrale Energiespeicher für Ökostrom.

Denn wie schon Panasonics Ökostadt zeigt, gibt es ohne ein Heer von großen Akkus keine smarte Stadt. Sie müssen den Öko-Strom zwischenspeichern, da die Produktion von Sonnen- und Windkraftwerke stark schwankt. Rechner leiten den Stromfluss so, dass das ganze System im Lot bleibt.

Daimler-Partner Nissan geht sogar einen Schritt weiter. Ab Anfang 2012 wird er ein solches System in Japan verkaufen. Auf der Ceatec, der größten Elektronikmesse Asiens, stellte Nissan sogar seine eigene Vision vom Zukunftshaus vor: eine weiße achteckige Wabe auf Stelzen, unter der Nissan Elektroauto Leaf parkt.

Solarzellen auf dem Hausdach produzieren Strom, der in den Autoakkus gespeichert wird. Zwei Tage lang soll die 24-Kilowattstunden-Batterie das Haus mit Strom versorgen können.Und damit das Licht nicht ausgeht, wenn Papi oder Mami wegfahren, hat Nissan dem Haus auch noch eine Brennstoffzelle spendiert.

Noch handelt es sich nur um einen Prototyp. Aber Nissan hat sich sicherheitshalber schon darauf vorbereitet, im Zeitalter "smarter" Systeme auch zum Hausanbieter werden zu können. Das "Nissan Smart House 2012" erfüllt schon jetzt Japans Bauvorschriften. Wer will es haben? Bei Nissan heißt es: "Wir können es jederzeit bauen".

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