Dienstag, 3. Januar 2012

Energiegenossenschaften in DE

Essen. Die „Solargenossenschaft Essen“ feiert ihr Einjähriges. Aus 32 Eignern sind mittlerweile über 100 geworden. Sieben Photovoltaik-Anlagen sind mittlerweile in Essen und Hattingen in Betrieb.

Wer am S-Bahnhof Stadtwald auf den nächsten Zug wartet und hinter dem Gleisbett den kleinen, mit Grünpflanzen bedeckten Gartenbungalow von Rolf Schwermer entdeckt, vermutet kaum, dass im Inneren ein kleiner Energieriese beheimatet ist. Denn so nennen die Mitglieder der Solargenossenschaft Essen (SGE) ih­re Bürgerfirma gern’ – vielleicht, weil sie wächst und gedeiht wie das üppige Grün auf dem Laubendach.
"Wir machen den Job gerne"

„Wir haben schon überlegt, RWE-Chef Jürgen Großmann in unsere Konzernzentrale einzuladen, zum Plausch unter lokalen Energieversorgern“, scherzt Schwermer, der neben seinem Professoren-Job an der Fachhochschule Hannover ei­ner von zwei Vorständen der SGE ist. Ein üppiges Gehalt wie sein RWE-Pendant Großmann bekäme er jedoch nicht, im Ge­genteil. „Wir sind mit unseren Null-Euro-Gehältern die wohl schlecht bezahltesten Vorstände in Essen. Ab­er wir machen den Job gerne“, erzählt Schwermer.
Auf neue Beine gestellt

Einen Kampf nach dem Vorbild „David ge­gen Goliath“ will die noch kleine Firma mit dem Energiekonzern vom Op­ernplatz nicht aufnehmen; gewitzt geht sie dennoch vor. Getreu dem Motto „Bürger erob­ern die Dächer ihrer Stadt“, ist Essens erste Bürger-Solargenossenschaft seit ei­nem Jahr auf dem Energiemarkt – und üb­er die Stadtgrenzen hinweg bekannt. Angefangen hat alles im Mai 2009, zunächst als Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Später entschieden sich die zunächst 32 Bürger für das Genossenschafts-Modell als Unternehmsform, da sich hier das Haftungsrisiko nur auf die gezeichneten Anteile der Mitglieder beschränkt. Seit 2010 ist die SGE offiziell ins Register eingetragen und zählt mittlerweile 106 Mitglieder.
Das Foto zeigt von links: Wilhelm Schröder, Dr. Reinhard Mielke, Dr. Horst Pomp, Prof. Rolf Schwermer und Andrea Kamrath. Foto Walter Buchholz

Statt ei­ner einzigen Photovoltaik-Anlage, wie zu Beginn, betreibt sie heute sieben Anlagen auf Dächern in Essen und Hattingen. Weitere sind in Planung – auf Schulen, öffentlichen und privaten Gebäuden. In Betrieb nehmen wollen die Laubenpieper ihre achte Anlage schon nächstes Jahr, ebenso Anlage neun und zehn, wenn genug Kapital vorhanden ist.
Mehr als nur den Gewinn vor Augen

Wer sich an der Solargenossenschaft Essen beteiligt, hat meist mehr als nur den Gewinn vor Augen. Ziel der Bürgerfirma ist, neben dem Betrieb von Solaranlagen für Umweltbewusstsein in Essen zu werben. Daher sind die Anlagen auf Dächern von Schulen, der Jugendhilfe sowie des Bildungsparks zu finden, oft mit Infotafeln im Haus, die verraten, wie viel Energie gewonnen und klimaschädliches CO² vermieden wurde. Zu den Betreibern zählen daher wohl viele junge Essener, die sich gemeinsam mit anderen aktiv für die Energiewende einsetzen wollen und zugleich eine zukunftsor­ientierte Anlage suchen. Denn zu sagen hat jeder, egal ob er nur einen oder 100 Anteile á 250 Euro besitzt, gleich viel: Jeder Genosse hat bloß eine einzige Stimme.



In der Liste von Andrea Kamrath findet sich sogar ein Investor aus Berlin. „Eine Stiftung kam auf uns zu, weil sie zum einen langfristig Erträge erhofft und zum anderen den Klimaschutz un­terstützen will“, sagt Kamrath. Unter den Teilhabern finden sich ebenso der Werdener Kinderarzt Horst Pomp, seit 35 Jahren im Runden Umwelttisch engagiert, Reinhard Mielke, Sprecher der Grünen Fraktion im Bezirk I, und Wilhelm Schröder, Energieexperte der Wirtschaftsförderung Gelsenkirchen. Sie alle bringen ihre Fähigkeiten und Ideen in die Firma ein. Mielke: „Wir brauchen jetzt eine Energiewende. Darum mach’ ich bei der Genossenschaft mit.“ Aber nicht immer geht’s in der Bürgerfirma rosig zu; es gab auch Krisenzeiten im Bungalow.
Fast vom Dach gefegt

Dass die erste Anlage auf der Franz-Dinnendahl-Realschule in Kray ihnen nicht all zu sonnige Zeiten bescheren sollte, mussten die ehrenamtlichen Vorstände im Dezember 2010 erfahren: Ein Gutachter stellte fest, dass die Solaranlage nicht standfest montiert war. Sturmböen hätten sie vom Dach reißen können. Die SGE hatte das Mini-Kraftwerk schlüsselfertig übernommen und keine eigene Bauabnahme durchgeführt. „Seither steigen wir bei jedem Neubau zurhttp://www.blogger.com/img/blank.gif Abnahme persönlich aufs Dach und prüfen kritisch, ob alles korrekt montiert ist“, so Schwermer.

Mit gerade mal neun Monaten zählt die SGE Julia Kessler als ihr jüngstes und 100. Mitglied; ihre Eltern Simone und Wolfgang haben der Tochter einen Anteil geschenkt. Bis die Firma so groß ist wie der Energieriese RWE, dürfte es noch lange dauern: Aktuell produziert die SGE Strom für etwa 55 Haushalte. „Aber wird sind guter Dinge, dass sich das bald ändert“, meinen Kamrath und Schwermer. Sie hoffen auf ein frohes, friedvolles, aber vor allem sonniges Jahr 2012: „Und ebenso auf viele Essener Bürger, die mitmachen wollen.“ Mehr Infos: www.solargenossenschaft-essen.de